Fokalisierung in frühchristlichen Erzählungen

Die Ge­schichte von Jesus ist die grundle­gen­de Er­zäh­lung des Christen­tums. Jeder kennt die zent­ralen Er­eig­nisse sei­nes Le­bens. Je­doch un­ter­scheiden sich früh­christliche Ver­sio­nen die­ser Ge­schichte oft stark in Be­zug da­rauf, wie ein und das­selbe Er­eig­nis dar­ge­stellt wird - weil sie aus un­ter­schiedli­chen Per­spek­tiven prä­sen­tiert wer­den. Die­se Gruppe hat zum Ziel, diese ver­schiede­nen Blickwin­kel auf­zu­de­cken.

Die Nachwuchsforschungsgruppe in der Übersicht

StandortLudwig-Maximilians-Universität München
AnbindungInternationales Doktorandenkolleg „Philologie“
Projektdauer2023 bis 2029
LeitungDr. Christoph Heilig
E-Mail an Dr. Christoph Heilig senden

Verschiedene Perspektiven auf die Geschichte Jesu

Die Ge­schichte von Jesus Christus wur­de in den ver­gan­ge­nen zwei­tau­send Jah­ren un­zäh­lige Male nacher­zählt. Die Er­eig­nisse rund um sein Le­ben, sei­nen Tod und seine Auf­er­ste­hung sind Teil unse­res kol­lek­tiven Be­wusstse­ins. Doch durch wel­che Per­spek­tive neh­men wir diese Er­eig­nisse wahr? Die Er­zähltheo­rie be­tont, dass die­selbe Er­eig­nis­se­quenz je nach ver­wendeter Per­spek­tive sehr un­ter­schiedlich ge­schildert wer­den kann.

In die­ser In­ter­nati­ona­len Nachwuchsfor­schungs­gruppe be­mü­hen wir uns, diese fa­cet­ten­rei­che Di­men­sion zu er­schließen. Wir un­ter­su­chen, wie un­ter­schiedli­che Per­spek­tiven unser Ver­ständnis und unse­re In­ter­pre­tati­on der Ge­schichte Jesu tief­grei­fend be­ein­flus­sen kön­nen.

Konzentration auf die narrative Perspektive

Die er­zähl­theo­reti­sche Un­ter­su­chung bibli­scher Er­zäh­lun­gen hat sich in den letz­ten Jah­ren als äu­ßerst auf­schlussreich er­wie­sen. Ein Schlüs­se­lele­ment des Er­zäh­lens – die nar­rati­ve Per­spek­tive oder Fo­kali­sie­rung – ist je­doch bis­her kaum bear­bei­tet wor­den. Wir wol­len diese Lü­cke schließen. Schließ­lich ist eine Er­zäh­lung viel mehr als nur die Handlung selbst. Eine gründli­che Ana­lyse sollte nicht nur be­rück­sich­ti­gen, was er­zählt wird, son­dern auch, wie es ver­mit­telt wird.

Bedeutende Texte

In unse­rem Pro­jekt kon­zent­rie­ren wir uns auf be­deu­ten­de Sammlungen früh­christlicher Tex­te. Wir möchten er­mit­teln, in­wie­weit die Evangeli­en von Mar­kus, Mat­thäus und Lu­kas sich in ihrer Dar­stel­lung von Er­eig­nis­sen un­ter­scheiden, selbst wenn sie im Grunde „die­selbe Ge­schichte“ er­zäh­len. Ebenso ent­de­cken wir in den Brie­fen des Apostels Pau­lus zahl­rei­che kompakte Mi­nia­tur­er­zäh­lun­gen über Jesus Christus.

Portrait von Dr. Heilig

Die Auf­de­ckung der Mul­tiper­spek­tivi­tät in früh­christli­chen Tex­ten über Jesus ist ent­scheidend, ins­be­son­dere in einer Zeit, in der der ge­sell­schaftliche Frie­den von unse­rer Fä­hig­keit ab­hängt, die Standpunkte an­derer zu ver­ste­hen.

Dr. Christoph Heilig

Es stellt sich die Fra­ge, in­wie­weit Un­ter­schiede in die­sen kur­zen Er­zäh­lun­gen durch die Wahl ver­schiede­ner Blickwin­kel (z.B. Got­tes Per­spek­tive vs. Jesu Per­spek­tive) er­klärt wer­den kön­nen. Schließ­lich ana­lysie­ren wir apokry­phe Lite­ratur, die wertvolle neue Blickwin­kel auf Jesus bie­tet.

Ein interdisziplinärer Ansatz

Wir ar­bei­ten mit dem In­ter­nati­ona­len Dok­to­randen-Kolleg Phi­lolo­gie zu­sammen. Die­se Zu­sammen­ar­beit er­mög­licht es uns, tiefer in die Be­zie­hung zwi­schen Er­zähltheo­rie und Phi­lolo­gie ein­zu­tau­chen. Er­zähl­theo­reti­sche Ana­lysen ba­sie­ren auf phi­lolo­gi­schen Ar­bei­ten, wie etwa der Textkri­tik. Im Ge­gen­zug kön­nen er­zähl­theo­reti­sche Ana­lysen grundle­gen­de phi­lolo­gi­sche Prak­ti­ken, wie die Überset­zung, tief­grei­fend be­ein­flus­sen. In allen Fra­gen ge­hen wir auch dem Ein­fluss von „großen Sprachmodel­len“ (die durch ChatGPT be­kannt wur­den) auf phi­lolo­gi­sche und er­zähl­theo­reti­sche For­schung nach.

Nur eine Frage der Perspektive?

Die nar­rati­ve Per­spek­tive ist ein ent­scheiden­der As­pekt des Er­zäh­lens. Wenn wir uns nur auf das kon­zent­rie­ren, was er­zählt wird, und ver­nach­lässi­gen, wie die Er­eig­nisse vom Er­zäh­ler dar­ge­stellt wer­den, ris­kie­ren wir, wichtige Fa­cet­ten der Er­zäh­lung zu über­se­hen. Das wirft die Fra­ge auf, wie die Ge­schichte von Jesus in der heu­tigen Welt er­zählt wird. Aus wel­cher Sicht sind wir es ge­wohnt, diese Er­eig­nisse zu se­hen? Wel­che Per­spek­tiven wur­den im Lau­fe der Jahr­hun­derte an den Rand ge­drängt? Und wel­che Viel­falt könnten wir in unser kul­turel­les Erbe zu­rückbrin­gen, wenn wir diese Mul­tiper­spek­tivi­tät voll­stän­dig in den Blick neh­men?

Die Internationale Nach­wuchs­­forschungs­­gruppe kooperiert eng mit dem In­ter­na­tio­na­len Dok­to­ran­den­kol­leg „Philologie“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München..

Weitere Kooperationen

Georg-August-Universität GöttingenGöttingen, Deutschland
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität BonnBonn, Deutschland
Universität AmsterdamAmsterdam, Niederlande
Universität BaselBasel, Schweiz
Universität FreiburgFreiburg, Schweiz
Universität RegensburgRegensburg, Deutschland
Universität St. AndrewsSt. Andrews, Großbritannien
Universität VirginiaCharlottesville, USA
Universität ZürichZürich, Schweiz
Yale Divinity SchoolNew Haven, USA
Aristoteles-Universität ThessalonikiThessaloniki, Griechenland
Nationale und Kapodistrias-Universität AthenAthen, Griechenland