Spannende Gespräche beim Science Walk
Ich hatte die große Ehre, an der 8. Lindauer Tagung der Wirtschaftswissenschaften teilzunehmen – einem einzigartigen Forum des wissenschaftlichen Austauschs zwischen Nobelpreisträgern und ausgewählten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus aller Welt. Die Tagung bot nicht nur fachlich inspirierende Vorträge, intensive Diskussionen und interdisziplinäre Impulse, sondern auch zahlreiche Gelegenheiten für persönliche Begegnungen und tiefergehenden Austausch.
Ein besonderes Highlight war der Science Walk mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Romer. In kleiner Runde spazierten wir gemeinsam mit ihm durch die historische Altstadt Lindaus und entlang des Bodensees – eine einmalige Gelegenheit, wissenschaftlichen Dialog in informeller Atmosphäre zu führen. Die Diskussion drehte sich um aktuelle Fragen der Besteuerung multinationaler Digitalkonzerne. Romer betonte, dass Plattformunternehmen mit zunehmenden Skalenerträgen durch ihre daten- und codebasierten Geschäftsmodelle strukturelle Wettbewerbsvorteile erzielten – Vorteile, die mit traditionellen Besteuerungsansätzen nur unzureichend erfasst würden. Sein Plädoyer: eine progressiv ausgestaltete Steuer auf Umsätze aus digitaler Werbung, die dort ansetze, wo Wertschöpfung zweifelsfrei stattfinde – nämlich beim erzielten Umsatz, nicht beim verschiebbaren Gewinn. Nur so könne man die Marktmacht großer Plattformen effektiv adressieren und Fehlanreize im digitalen Wettbewerb vermeiden.
Austausch mit Verantwortungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft
Ebenso bereichernd war der interdisziplinäre Austausch mit Nobelpreisträgern aus anderen Fachrichtungen. Besonders eindrucksvoll war eine gemeinsame Diskussion mit den Physik-Nobelpreisträgern Steven Chu und Brian Schmidt über Wissenschafts- und Innovationspolitik. Beide brachten ihre Erfahrungen aus leitenden Positionen in Wissenschaft und Politik ein: Chu, ehemaliger US-Energieminister im Kabinett Obama, und Schmidt, Präsident der Australian National University. Gemeinsam mit Thomas Schafbauer, Leiter der Geschäftseinheit SURF bei Infineon, diskutierten sie die strategische Rolle von Tech-nologiepolitik und staatlicher Förderung. Dabei wurde deutlich: Europa wird die Innovationsdynamik großer US-Tech-Konzerne finanziell nicht überbieten können. Statt einer breit angelegten Konkurrenz sei es sinnvoller, gezielt Nischen wie industrielle KI-Anwendungen zu fördern und dort mit politischer und wirtschaftlicher Entschlossenheit eigene Schwerpunkte zu setzen. Brian Schmidt machte zudem einen bemerkenswerten Punkt zur Rolle der Wissenschaft in der Politikberatung: Nicht der beste Bericht, sondern das über Zeit aufgebaute Vertrauen zwischen Forschenden und Entscheidungsträgern sei entscheidend für politische Wirkung. Eine klare Erinnerung daran, dass exzellente Wissenschaft allein nicht ausreiche – sie müsse auch in glaubwürdiger Form vermittelt werden.
Ein weiteres fachliches Highlight war der Vortrag von Robert J. Aumann, der 2005 für seine grundlegenden Beiträge zur Spieltheorie ausgezeichnet wurde. Aumann beleuchtete, warum Menschen gerade in seltenen oder unnatürlichen Entscheidungssituationen häufig irrational handeln. Seine zentrale These: Unsere Entscheidungen beruhen auf Heuristiken, die über biologische oder kulturelle Evolution hinweg verankert sind. In alltäglichen Kontexten führten diese Faustregeln meist zu rationalem Verhalten. Doch in künstlich konstruierten oder extrem unwahrscheinlichen Szenarien – wie sie beispielsweise in Experimenten zur Verhaltensökonomik auftreten – versagten diese Strategien, weil sie nicht evolutionär „getestet“ seien. Die Folge sind systematische Fehler, die weder durch bloße Information noch durch Erfahrung leicht korrigierbar seien.
Neben dem wissenschaftlichen Programm prägten auch die gesellschaftlichen Veranstaltungen die besondere Atmosphäre der Tagung. Besonders in Erinnerung bleibt mir der Bayerische Abend, ausgerichtet von der Bayerischen Staatsregierung – ein festlicher Rahmen für offene Gespräche, neue Bekanntschaften und den gemeinsamen Blick auf die Rolle von Wissenschaft in Gesellschaft und Politik.
Die Teilnahme an der Lindauer Tagung hat mir wertvolle Impulse für meine weitere Forschung gegeben. Die intensiven Gespräche mit Nobelpreisträgern, Expertinnen und Experten sowie engagierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern aus aller Welt haben meinen Blick auf die Rolle der Ökonomik im politischen Entscheidungsprozess geschärft. Für meine eigene wissenschaftliche Arbeit – die sich dem Ziel verschreibt, wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse für verlässliche Politikgestaltung nutzbar zu machen – war die Tagung von unschätzbarem Wert.
Mein besonderer Dank gilt dem Elitenetzwerk Bayern, das mir durch seine Nominierung diese außergewöhnliche Erfahrung ermöglicht hat.
Text: Peter Kreß