von Stefan Knauer (5.11.2010)
Enzyme, die Reaktionen in biologischen Systemen mittels Radikalmechanismen katalysieren, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Sie werden auf Grund ihres Reaktionsmechanismus als Radikalenzyme bezeichnet. Bei Radikalmechanismen treten während des Reaktionsverlaufes radikalische Spezies auf, d.h. chemische Spezies mit einem ungepaarten Elektron, die hoch reaktiv sind. Dies stellt eine Herausforderung für die Enzyme dar, da die Radikale wegen ihrer Reaktivität stark kontrolliert werden müssen.
In meiner Doktorarbeit beschäftige ich mich speziell mit Radikalenzymen, die vor allem in Clostridien vorkommen. Diese Enzyme gehören zur Familie der so genannten 2-Hydroxyacyl-CoA-Dehydratasen und katalysieren chemisch besonders schwierige Reaktionen im Stoffwechsel dieser Bakterien. Sie enthalten neben den organischen Aminosäuren auch anorganische Bestandteile, die aus Eisen-Schwefel-Verbindungen bestehen, so genannte Eisen-Schwefel-Cluster (Abb. 1). Aus diesem Grund gehören diese Enzyme auch zu der Gruppe der Eisen-Schwefel-Proteine. Eisen-Schwefel-Proteine sind essentiell für alle Lebewesen, da sie an allen wichtigen Stoffwechselprozessen beteiligt sind und diese nicht ohne Eisen-Schwefel-Proteine ablaufen können. Zu diesen Stoffwechselprozessen gehören beispielsweise die Atmung der Tiere, die Photosynthese der Pflanzen oder die Stickstofffixierung der Knöllchenbakterien in Erbsenwurzeln. Die in den Proteinen enthaltenen Eisen-Schwefel-Cluster kommen in unterschiedlichen Strukturen vor, da sie je nach Anzahl der beteiligten Eisen- und Schwefelatome lineare, kubische oder komplexere Reaktionszentren bilden.
Eisen-Schwefel-Proteine, deren Cluster an Katalyse-Prozessen beteiligt sind, in denen die Abspaltung von Wasser (Dehydratisierung) erfolgt, sind seit etwa 40 Jahren bekannt. Das bekannteste Beispiel ist das Enzym Aconitase, das im Zitronesäurezyklus die Umwandlung von Zitrat zu Isocitrat durch Abspaltung und Wiederanlagerung von Wasser katalysiert.
Eisen-Schwefel-Cluster kommen jedoch nicht nur in aeroben Prozessen - d.h. in der Anwesenheit von Sauerstoff – vor. Sie spielen auch besonders wichtige Rollen im Stoffwechsel anaerober Bakterien. Zu dieser Klassen von Bakterien gehören die Clostridien, von denen einige Vertreter – unter anderem das humanpathogene Bakterium Clostridium difficile – mit Hilfe von Eisen-Schwefel-Proteinen bestimmte Aminosäuren zur Energiegewinnung nutzen können. Clostridien können nur in sauerstofffreier Umgebung existieren, also z.B. im Verdauungstrakt von Säugetieren. Dementsprechend sind auch die Enzyme auf eine sauerstofffreie Umgebung angewiesen.
Clostridium difficile ist nun darauf spezialisiert durch die Fermentation der proteinogenen Aminosäure L-Leucin Energie zu gewinnen. Hierfür wird das Eisen-Schwefel-Enzym 2-Hydroxyisocaproyl-CoA-Dehydratase (2-ISODH) benötigt. Dieses Enzym katalysiert die Wasserabspaltung (Dehydratisierung) aus (R)-2-Hydroxyisocaproyl-CoA. Dies ist aus chemischer Sicht eine schwierige Reaktion, da es eine so genannte b,a-Eliminierung ist. Aus diesem Grund werden diese Enzyme auch als atypische Dehydratasen bezeichnet. Um dennoch diesen Schritt katalysieren zu können, verwendet dieses Enzym einen Radikalmechanismus. Insgesamt können von anaerob lebenden Mikroorganismen zwölf der proteinogenen Aminosäuren zur Energiegewinnung verwendet werden. Die Enzyme, die in den verschiedenen Stoffwechselwegen die schwierige Wasserabspaltung katalysieren, werden allgemein als 2-Hydroxyacyl-CoA-Dehydratasen bezeichnet und sind alle Radikalenzyme (Abb. 2). Eine Besonderheit der 2-Hydroxyacyl-CoA-Dehydratasen ist, dass sie im Gegensatz zu den meisten anderen Radikalenzymen keine komplexen Kofaktoren (wie z.B. Coenzym B12 oder S-Adenosylmethionin) zur Generierung des aktiven Radikals benötigen.
Die 2-Hydroxyacyl-CoA-Dehydratasen bestehen aus zwei Komponenten: einem Aktivatorprotein und der eigentlichen Dehydratase. Beide Komponenten enthalten Eisen-Schwefel-Cluster. Das Aktivatorprotein überträgt unter Energieaufwand (ATP-Hydrolyse) ein Elektron auf die Dehydratase und „aktiviert“ diese somit. Sobald die Dehydratase aktiviert ist, kann sie im Fall der 2-ISODH bis zu 10000 Wasserabspaltungen katalysieren. Dies ist möglich, da nach jeder einzelnen Wasserabspaltung das reaktive Elektron, das für die Katalyse benötigt wird, wiedergewonnen wird (Abb. 3). Wie die Aktivierung und die Katalyse auf molekularer Basis ablaufen ist bislang unbekannt. Weiterhin ist bislang ungeklärt, wie das Elektron nach jeder Dehydratisierung wiedergewonnen wird und wie der zufällige Verlust des Elektrons verhindert wird.
Meine Arbeit besteht nun darin, die 2-Hydroxyacyl-CoA-Dehydratasen aus verschiedenen Mikroorganismen in einem ungefährlichen Bakterienstamm (Escherichia coli) zu produzieren und sie daraus zu isolieren. Anschließend charakterisiere ich sie biochemisch mittels verschiedener biophysikalischer Techniken, beispielsweise durch unterschiedliche Spektroskopiearten. Außerdem versuche ich, ihre dreidimensionale Struktur, d.h. die Anordnung der Atome im Enzym, in verschiedenen Zuständen mit Hilfe einer Methode aufzuklären, die sich Röntgenstrukturanalyse nennt. Hierzu werden die Proteine kristallisiert und die Kristalle werden anschließend Röntgenbeugungs-Experimenten unterzogen. Aus den resultierenden Daten kann ein Modell der dreidimensionalen Struktur erzeugt werden. Die Enzyme sind hochgradig sauerstoffempfindlich, d.h. sie sind auf eine sauerstofffreie Umgebung angewiesen. Somit müssen alle Arbeiten mit ihnen unter dem Ausschluss von Sauerstoff stattfinden, was besondere Maßnahmen erfordert (Abb. 4).
Schließlich werden alle experimentellen Daten dazu verwendet, die Funktionsweise dieser besonderen Enzyme auf molekularer Basis zu entschlüsseln.